Wie Sie mit Behavioral Design die Rücksendequote im E-Commerce senken

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Retouren reduzieren - aber wie? Mit Behavioral Design! In keinem europäischen Land ist die Retourenquote so hoch wie in Deutschland. 2020 schickten die Deutschen unglaubliche 315 Millionen Pakete zurück. Mehr als die Hälfte der deutschen Käuferinnen und Käufer retournierte mindestens einen Artikel. Die Folgen: hohe Kosten für Unternehmen und eine massive Belastung für die Umwelt. Trotz dieser lose-lose-Situation stagniert die Rücksendequote auf hohem Niveau. Wie senken Unternehmen diese Quote signifikant und reduzieren ihre Kosten, ohne die Kundschaft zu verprellen? Die Antwort könnte in der Anwendung von Behavioral Design liegen: Ansätze aus der Verhaltspsychologie bieten das Potenzial, jedes Jahr alleine in Deutschland über 15 Millionen Retourenpakete zu vermeiden.

Retouren sind teuer 

Rund 15 Prozent der online bestellten Ware wird wieder zurückgeschickt. Für fast jedes zweite E-Commerce-Unternehmen sind die mit einer Rücksendung verbundenen Kosten geschäftsbelastend. Sie zahlen durchschnittlich 19,51 Euro pro Retoure inklusive aller Nebenkosten und spüren folgende Kostentreiber im Retourengeschäft besonders stark:

  • Prüfung / Qualitätskontrolle (65 Prozent)
  • Versand, Porto und Transport (49 Prozent)
  • Annahme / Vereinnahmung / Identifikation (46 Prozent)
  • Wertverlust (39 Prozent)
  • Aufbereitung / Reinigung / Reparatur (38 Prozent)

Retouren kostenpflichtig machen?

Also geht mittlerweile jedes fünfte E-Commerce-Unternehmen der Top 100 Online-Shops dazu über, Retouren teilweise kostenpflichtig zu machen. Während 19 Prozent dieser Unternehmen ihre Kundschaft bei jeder Retoure zur Kasse bittet, bleiben Rücksendungen bei zwei Unternehmen ab einem Warenwert von über 40 Euro kostenfrei. Große Unternehmen mit vielen Filialen wie H&M bieten die kostenlose Retoure im Geschäft an. Doch sind kostenpflichtige Rücksendungen und eingeschränkte Retouren in Zeiten kundenzentrierter und digitaler Kundendialoge wirklich ein Erfolgsmodell?

So sehen die Kundinnen und Kunden das Thema Retouren

Aktuelle Zahlen zeigen, dass die Kundschaft empfindlich reagiert auf Strafmaßnahmen. Knapp zwei Drittel der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher bestellen gar nicht erst, wenn Rücksendungskosten nicht übernommen werden. 41 Prozent der Kundinnen und Kunden ärgern sich über kostenpflichtige Retouren. Es besteht die Gefahr, dass Sie Kundinnen und Kunden verlieren. 

Hinzu kommt, dass 64 Prozent der deutschen Käuferinnen und Käufer Rückgabebedingungen kompliziert und nicht verständlich finden. Fast die Hälfte (45 Prozent) ärgert sich, weil der Retourenschein fehlt. Dass sie für ein Retouren-Label erst den Kundenservice kontaktieren müssen, ist ein großes Ärgernis für viele Verbraucherinnen und Verbraucher. Jeder zweite Befragte bevorzugt Reklamationsprozesse über einen Self-Service,  über den Retourenscheine generiert und der Bearbeitungsstand eingesehen werden kann. Doch nur rund die Hälfte der E-Commerce-Unternehmen bietet ein solches Retourenportal an. 

Ein guter Reklamationsprozess sollte aus Sicht Ihrer Kundschaft:

  • kostenlos sein (78 Prozent),
  • eine schnelle Rückerstattung ermöglichen (64 Prozent),
  • digital und papierlos ablaufen (43 Prozent),
  • mehrere Rückgabeoptionen bieten (36 Prozent)
  • und eine verlängerte Rückgabefrist von mindestens 30 Tagen einräumen.

 

Bedenken Sie auch: Selbst die effizientesten Reklamationsprozesse kosten Zeit – auch wenn viele Verbraucherinnen und Verbraucher diese Zeit gar nicht bewusst einkalkulieren. Zudem sind sie immer mit negativen Emotionen verbunden. Ein Kleidungsstück ist zu klein, die Farbe der Vase passt wider Erwarten nicht ins Wohnzimmer. Das Ersatzteil ist doch nicht das Richtige. Strafmaßnahmen sind an dieser Stelle der Customer Journey vermutlich nicht sehr effektiv. Besser wäre es, mit den richtigen Stimuli auf die guten Absichten Ihrer Kundschaft zu setzen – wie eine Behavioral Design-Studie von elaboratum, Behamics und der Universität St. Gallen zeigt.

Mit Behavioral Design ein gewünschtes Verhalten erreichen

Behavioral Design hilft Unternehmen, Kundinnen und Kunden zu beeinflussen, ohne monetäre oder restriktive Maßnahmen wie kostenpflichtige Retouren einführen zu müssen. Unternehmen agieren  über bestimmte, verhaltenspsychologisch fundierte Interventionen in Kundenprozessen und lösen so gewünschte Verhaltensmuster aus – wie zum Beispiel einen bewussten Konsum, die Vermeidung von Retouren oder den Kauf langlebiger Produkte. Die Forschung kennt bereits über hundert Verhaltensmuster – auch Behavioral Patterns genannt –, nach denen Menschen abhängig vom Kontext intuitiv entscheiden. Das Ziel von Behavioral Design ist,  Menschen manipulationsfrei zu einem gesamtgesellschaftlich erwünschten Verhalten zu bewegen.

Wie Behavioral Design Rücksendungen minimiert

Rücksendungen belasten die Umwelt massiv. 2018 betrugen die durch Rücksendungen verursachten CO2-Emissionen 238.000 Tonnen, ein CO2-Ausstoß, der 125.000 Autofahrten von Hamburg nach Kapstadt entspricht. Vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern ist nicht bewusst, wie umweltbelastend ihr Verhalten ist. Und wir kennen es alle: Ein Produkt ist online heute so schnell gekauft.

Über folgende Behavioral Patterns reduzieren Sie unnötige Rücksendungen Ihrer Kundinnen und Kunden:

  • Soziale Norm: Kommunizieren Sie an entscheidenden Stellen der Customer Journey und über die richtigen Touchpoints, wie nachhaltig sich andere Kundinnen und Kunden verhalten. Über positive Vorbilder wird Verhalten eher nachgeahmt.
  • Reziprozität: Zeigen Sie Ihrer Kundschaft, dass Sie in Vorleistung treten. Bieten Sie ausführliche Produktinformationen und gute Beratung bei der Kaufentscheidung an. Ein guter Größenkalkulator unterstützt Ihre Kundinnen und Kunden, die richtige Größe eines Kleidungsstückes auszuwählen. Ihre Vorleistung bewirkt, dass Ihre Kundschaft sich kooperativer verhält und Produkte sorgfältiger auswählt.
  • Verlustaversion: Machen Sie deutlich, wie viel Zeit eine Rücksendung durch eine nachlässige Produktauswahl und eine voreilige Bestellung kostet. Vermitteln Sie Ihren Kundinnen und Kunden, dass der Zeitverlust mehr wiegt als der Gewinn eines neuen, aber falschen Produkts.
  • Illusion of Control: Zu den wichtigsten Bedürfnissen des Menschen gehört der Wunsch, das eigene Leben selbst zu bestimmen und zu kontrollieren. Bieten Sie Ihrer Kundschaft die Möglichkeit, sich ausgiebig in Ihrem Produktangebot umzusehen, relevante Informationen zu recherchieren und Fragen selbst beantworten zu können. So gewinnen Sie kooperative Kundinnen und Kunden, die gerne und bewusst bei Ihnen kaufen.

Wo Behavioral Design wirkt

Behavioral Patterns sind an vielen Touchpoints der Customer Journey sinnvoll. Das Prinzip Reziprozität spielt bereits beim ersten Kontakt mit Ihrem Unternehmen eine große Rolle. Wie ausführlich und bildhaft stellen Sie Ihre Produkte dar? Wo kann Ihre Kundschaft Antworten auf allgemeine Fragen erhalten? Sobald der Bestellvorgang beginnt, können Sie Tools wie den Größenkalkulator anbieten und abbilden, wie sich andere Kundinnen und Kunden entscheiden. Interventionen, die auf den Zeitverlust abzielen, setzen Sie spätestens im Warenkorb ein. 

Wo und wie Sie Behavioral Patterns nutzen, hängt natürlich von Ihrem speziellen Kontext ab. Analysieren Sie die Bedürfnisse Ihrer Zielgruppen und finden Sie heraus, über welche Kanäle und an welchen Touchpoints Behavioral Design sinnvoll ist. Intelligente Omnikanal-Software ist hier ein entscheidender Schlüssel. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz hilft Ihnen, das Verhalten Ihrer Kundschaft in Echtzeit zu analysieren, relevante Informationen zu vernetzen und Stimuli an relevanten Touchpoints einzusetzen.

Reklamationsprozesse als Self-Service

Behavioral Design ist ein Ansatz, der sich als sehr effektiv und effizient herausgestellt hat. Dennoch werden Sie und Ihre Kundschaft weiterhin mit Retouren zu tun haben. Umso wichtiger ist es, dass Ihre Reklamationsprozesse für alle Beteiligten schnell, reibungslos und ohne hohen Aufwand ablaufen. Auch hierbei hilft Ihnen ein guter technologischer Support ganz wesentlich. Bieten Sie Ihren Kunden einen integrierten und intelligenten Self-Service per App oder Web-Formular an. Intelligente Software vereinfacht viele Schritte und löst notwendige Folgeprozesse automatisch aus. 

  • KI leitet E-Mails an die richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter.
  • KI extrahiert relevante Informationen und zeigt sie auf dem Desktop an.
  • KI ergänzt Informationen, die für die Bearbeitung einer Reklamation wichtig sind.
  • KI erkennt den Zusammenhang zwischen Bestellung und Reklamation und fügt Daten wie die Bankverbindung automatisch in die Vorgangsmaske ein.
  • KI prüft Gewährleistungen und Garantien und schlägt vor, wie Retouren bearbeitet werden können.

Wie Reklamationsprozesse im intelligenten Self-Service per Web oder Web-Formular gelingen, erfahren Sie in unserem Blogbeitrag: Effektive und kostensparende Reklamationsprozesse – so geht's

Fazit

Retouren sind ein enormer Kostentreiber für Unternehmen. Sie belasten die Umwelt und sind ein Ärgernis für Kundinnen und Kunden. Über digitale Reklamationsprozesse im Self-Service können Sie das Retourengeschäft deutlich effizienter und günstiger gestalten. Doch Ihre Retourenquote reduzieren Sie nicht. Auch monetäre und restriktive Maßnahmen haben die hohe Rücksendequote in Deutschland bislang nicht signifikant gemindert und stehen guten Kundenbeziehungen eher im Weg.

Als erfolgversprechender erweist sich Behavioral Design. Der verhaltenspsychologisch fundierte Ansatz setzt auf positive Stimuli entlang relevanter Touchpoints, um Menschen zu einem bewussteren Konsum zu bewegen. 

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